Gastbeitrag: geschichtliche Hintergründe zum Babyschlaf

Unsere Vorfahren (und ihre Babys) schliefen anders als wir es heute tun.

"Da Mutter und Kind stets beisammen zu sein pflegen und zusammen sein

sollen, so bedarf wol noch die Frage einer Beantwortung, ob es für das Kind

gesund ist, mit der Mutter in einem Bette zu schlafen. Die Ausdünstung

einer gesunden Mutter, diese reine animalische Wärme kann ihrem Kinde

nur zuträglich sein, vorzüglich im Winter, wo künstlich gewärmte Tücher,

Decken und Kleider dieselbe nicht ersetzen können." „Die ersten Mutterpflichten

und die erste Kindespflege“, Dr. Friedrich August von Ammon, 1854

 

In Freilichtmuseen kann man viel lernen. Wenn man genau hinschaut, kann man sogar etwas über das Schlafverhalten unserer Vorfahren lernen. Wieviele Zimmer hatte denn beispielsweise ein Bauernhaus früher? Natürlich gab es da regionale und auch standesabhängige Unterschiede, aber dass nicht jedes Kind sein eigenes Zimmer hatte, wie es heute üblich ist, wird schnell klar. Häufig sieht man auch Wiegen  in den Schlafzimmern der Eltern stehen, was suggeriert, dass zumindest Babys im Zimmer der Eltern schliefen. Doch gab es auch Bauernhäuser, in denen genau zwei Zimmer mit Schlafstätten vorhanden waren. Das eine war das Schlafzimmer. Das andere war das Kranken- und Sterbezimmer. Wer also alleine schlafen wollte, musste schon krank werden.

Es drängt sich die Frage auf, ob die -aus heutiger Sicht- beengten Verhältnisse beabsichtigt waren, oder der Armut entsprangen. In Zeiten ohne Strom, Zentralheizung und fließend Wasser sind kleine Häuser mit dicken Wänden ökonomischer als große Anwesen. Selbstverständlich waren große Anwesen schon immer ein Statussymbol, das Reichtum und Macht widerspiegelte. Daher auch das Streben nach immer mehr Zimmern. Und irgendwie musste man diese Zimmer ja nutzen, also bekam jede Person ein eigenes; in den hohen Ständen auch die Ehepartner.

Doch fehlte den Menschen in Häusern mit wenigen Schlafzimmern etwas? Ich gehe davon aus, dass sie sich gar nicht so sehr nach dem Alleinschlafen gesehnt haben, wie es heute viele tun. Alleine zu schlafen wird uns angewöhnt, es ist uns nicht von Natur aus ein Bedürfnis. Die wenigsten Babys wollen alleine schlafen. Sie sind am liebsten ganz nah bei ihren Hauptbezugspersonen.

 

Auch der Wunsch nach Privatsphäre im Sinne von Alleinsein ist heutzutage mit Sicherheit ausgeprägter als noch vor 100 Jahren. Die Großfamilie und die Gemeinde waren der Lebensmittelpunkt, nicht die individuelle Selbstverwirklichung. Privatsphäre kann man auch im Beisein von anderen haben. So ganz allein will ja auch heute kaum jemand schlafen. Die meisten wollen doch ihre PartnerIn in der Nacht bei sich haben.

Ein weiterer Aspekt, der dafür spricht, dass Familien mit Absicht in demselben Zimmer schliefen, liegt in der bisher noch nicht so verbreiteten Erkenntnis, dass das Durchschlafen von etwa acht Stunden eine recht neumodische Erscheinung ist. Es ist noch gar nicht so lange her, da war es üblich, die Nacht in zwei getrennten Schlafphasen zu verbringen. Dazwischen war eine Wachphase, die für zwischenmenschliche Aktivitäten genutzt wurde.

Mitunter gab es auch eine Mitternachtsjause; eine kleine Mahlzeit. Mit Sicherheit bekam dann auch das Baby die Brust.

 

Wenn aber alle beieinander schlafen, werden dann nicht alle auch vom Baby geweckt, wenn es Hunger hat? Babys werden ja durchaus häufiger als ein Mal in der Nacht wach. Allerdings passen stillende Mütter im Familienbett ihren Schlafrhythmus dem des Babys an. Sie werden oft selbst nicht mal richtig wach, wenn sie ihr Baby in der Nacht anlegen. Es lag also im Interesse der gesamten Familie, wenn das Baby in der Nacht gestillt wurde. So gab es weniger Störungen.

Erst als schlaue Leute anfingen, Erziehungsratgeber zu schreiben und sich in die Schlafverhältnisse von Familien einzumischen, änderte sich auch die Sicht auf das Schlafverhalten des Babys. Die ersten Ratgeber erschienen im späten 18. Jahrhundert und wurden in der Regel von Ärzten geschrieben. Daher ging es bei der Erziehung in erster Linie um das, was den Kindern nach vorherrschender Meinung ein gesundes Leben bescheren würde. Es war also eine rein auf den Körper und dessen Gesundheit abzielende Erziehung. Dazu gehörten eben auch Essen und Schlafen. Nach dem Grundsatz "mens sana in corpore sano" war man der Meinung, dass eine gesunde Seele Folge eines gesunden Körpers sei.

 

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war es noch völlig normal, dass gestillte Kinder in demselben Zimmer wie ihre Mutter oder Amme schliefen. Doch zu der Zeit fing es an, dass die von den "Experten" aufgestellten Regeln immer strenger wurden. Zunächst hieß es noch, man solle Säuglinge ab einem Alter von sechs Monaten allmählich ans Durchschlafen gewöhnen. Doch schon zur Jahrhundertwende hatte sich der Wind gedreht und man erwartete von sechs Monate alten Kindern, dass sie bereits durchschliefen. Gerade mal weitere zwanzig Jahre später zwängte man Babys von Geburt an in strenge Tagesrhythmen.

"An eine achtstündige Nachtpause wird das Kind am besten sehr bald gewöhnt. Es gibt Säuglinge, bei denen auch bei richtiger Pflege ein durchgehender Nachtschlaf nicht zu erreichen ist. Diese Kinder stören durch stundenlanges Schreien die Nachtruhe ihrer Angehörigen oder ihres Pflegepersonals. Wenn wir derartige Schreikinder durch eine Nachtmahlzeit zur Ruhe bringen können, greifen wir im Interesse des Kindes und seiner Umgebung zu diesem Mittel."

Der Säugling - Seine Entwicklung, Pflege und Ernährung, Dr. Otto Köhler, 1921

 

Jetzt war also auch das Schreien zum Problem geworden. Als lästig, störend und unnötig wurde es angesehen. Eine solche Sichtweise ist natürlich nicht gerade förderlich für die Eltern-Kind-Bindung. Noch heute spüren wir die Nachwirkungen von dieser Entwicklung. Schreien wird häufig als etwas angesehen, dass Babys halt machen. Es wird nicht ernst genommen, besonders wenn die Erwachsenen meinen zu wissen, dass es doch keinen Grund zum Weinen gäbe; schließlich sei das Kind satt und trocken. Aber wir Menschen sehnen uns halt von Geburt nicht nur nach Nahrung und Sauberkeit, sondern auch nach Nähe. Selbst im Schlaf.

 

Karin Bergstermann, geb 1975 in Köln, schreibt in Ihrem Blog "Geschichte der Säuglingspflege" über geschichtliche Entwicklung in der Pflege mit Babys. Seit 2007 beschäftigt Sie sich mit der Geschichte der Säuglingspflege, sammelt und studiert zeitgenössische Erziehungsratgeber und veröffentlicht diese auf ihrer Webseite.

Tags: Stillen, Schlafen

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